Corona nagt schon ganz schön an meinen Nerven. Im Moment tauchen in meinen Social Media Timelines viele Verschwörungstheorien auf, gemischt mit Leugnen der COVID-19-Pandemie, heftiger Kritik am Lockdown und auch Antisemitismus. Ich höre auch total überoptimistische Neuigkeiten von Corona-Medikamenten („In zwei Wochen ist alles vorbei!“). Außerdem war der Lockdown eh viel zu lasch und mit den Lockerungen geht die Zombieapokalypse los. Ich höre gefühlt nur Extreme und Widersprüche. Tja und irgendwie muss ich dazwischen meinen Alltag unterbringen.
Verschwörungstheorien sind ekelig
Der Auslöser für diesen Blogpost ist ein Video, das in meiner Timeline aufgetaucht ist: In dem Video wird ein bootender Windows-Rechner (Microsoft, Bill Gates) gezeigt, der nur hochfährt, wenn der Benutzer seinen Impfstatus nachweist. Okay, bedingt lustig und ein Hinweis auf die gerade hippen Bill-Gates-Verschwörungstheorien. Am Schluss des Videos wird groß „IMPFEN MACHT FREI“ eingeblendet. Was für ein Scheiß, was hat den die Abwandlung der Nazi-Phrase „ARBEIT MACHT FREI“ in diesem Kontext für einen Sinn. Die Macher des Videos vermischen munter Corona-Verschwörungstheorie und antisemitische Verhöhnung. Und dann soll keiner mehr sagen: Verschwörungstheorien und Nazi-Gedankengut haben nichts miteinander zu tun! Ich will so was gar nicht selber bezeugen müssen. Ich könnte kotzen.
Zombieapokalypse nach den Lockerungen
Absichtlich gestreute Panikreaktionen auf die Lockerungen landen ebenfalls regelmäßig in meinen Social Media Timelines. Diese Angst schürenden Posts sind zwar nicht so explizit eklig wie das Impf-Video, aber eben genauso falsch. Wie bei den Verschwörungstheoretikern werden hier oft bekannte Tatsachen zu etwas vollkommen Falschen aufgebauscht: Nach den Lockerungen kommt sofort der zweite aber unkontrollierbare Corona-Ausbruch mit Millionen von Toten in Deutschland. Das fiese daran ist, die Aussage kommt wissenschaftlich unaufgeregt daher und wird durch hübsche, wissenschaftlich aussehenden Grafiken gestützt. Was fehlt sind entsprechende Quellenangaben. Diese pseudowissenschaftliche Form kann wie eine Verschwörungstheorie überzeugen und wird deshalb fleißig geteilt. Weil ich den Quatsch auch noch lese, rege ich mich wieder auf.
Corona Meme
Ja, Meme können ziemlich lustig sein, ich habe schon viel darüber gelacht. Meme sind aber auch gefährlich, sie kommen nett und selbstironisch daher. Meme haben auch nur wenig Inhalt. Und so schaffen es Meme direkt in unsere Gehirne, ohne dass einer unserer kritischen Wahrnehmungsfilter anschlägt. Bei Memen gibt es oft kein „Moment mal, das stimmt doch nicht“. Weil aber Meme direkt ins Gehirn flutschen, können sie extreme Ansichten ganz einfach immer weiter verstärken. Ich werde in Zukunft jedenfalls keine Corona-Meme mehr basteln oder posten.
Arroganz der Besserwisser
In meinen Social Media Timelines sind die Verschwörungstheoretiker ziemlich unterrepräsentiert. Dagegen gibt es viele, die missionarisch versuchen die Verschwörungstheoretiker wieder auf den ihren „richtigen Weg“ zu bringen, ein Beispiel:
Das Video ist eine Selbstvergewisserung des Standpunkts der Autorin. Das ist als Strategie der Autorin um irgendwie mit der Coronasituation umzugehen vollkommen okay und verständlich. Das Video wird aber jetzt von anderen weitergepostet mit dem arroganten Anspruch, „Seht her Verschwörungsdeppen: Ihr habt eine falsche Weltsicht!“. Verschwörungsgläubige wird das Video aber nicht überzeugen können — sollte es auch nie, war nie die Intention –, im Gegenteil es wird die Extreme fördern. Gegner von Verschwörungstheorien fühlen sich total bestätigt, das Video wird ganz rezo-ähnlich als PASSMANN ZERSTÖRT KENFM promoted. Verschwörungstheoretiker werden sofort sagen, die Autorin gehört zu den Schlafschafen (eng. Sheeple), die nur den Mainstream nachplappert. Die natürliche Reaktion darauf ist, sich in die Verschwörungsweltsicht zurückziehen und das Video als Bestätigung zu sehen.
Wie mit den Extremen umgehen?
Ich werde mich in Zukunft von den eher textlastigen Social Media, also Facebook und Twitter, zurückziehen werde. Falls extreme Meinung in meinem Freundes- und Bekanntenkreis eher selten und oberflächlich auftauchen, werde ich versuchen diese einfach zu übersehen. Ich werde aber auch beobachten, ob einer meiner Freunde oder Bekannten extreme Standpunkte als echten Hilfeschrei in der Coronasituation benutzt. Falls das so ist, hilft nur miteinander reden, versuchen einander zu verstehen, Erfahrungen und Ängste miteinander zu teilen. Argumentativ zu überzeugen wird meiner Meinung nach nicht helfen. Warum? Na ja, ich habe das Gefühl mein Standpunkt ist für mich richtig, wenn mich jemand davon abbringen will, fahre ich zuerst mal meine Abwehr hoch. Genauso hat aber mein Gegenüber ebenfalls seinen Standpunkt und möchte ebenfalls nicht davon abgebracht werden. Auch ohne Überzeugungsarbeit kann man einander helfen, indem man die gemachten Erfahrungen miteinander teilt und gegenseitig die Sorgen selbst wahrnimmt, ohne sie zu bewerten.
Ich hoffe Ihr seid alle gesund
René
